BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.4.2014, 3 AZR 83/12
Auslegung einer Versorgungsordnung – Verweisung auf die Grundsätze des Beamtenversorgungsrechts – Berücksichtigung eines Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 29. November 2011 – 1 Sa 541 c/10 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 22. September 2010 – ö. D. 3 Ca 1368 b/10 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Versorgungszuschusses.
2
Die im Januar 1946 geborene Klägerin war vom 1. April 1980 bis zum 31. Januar 2009 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sie war wegen der Erziehung ihrer beiden in den Jahren 1965 und 1968 geborenen Kinder vom 1. April 1965 bis zum 31. Oktober 1971 nicht berufstätig. Seit dem 1. Februar 2009 bezieht sie eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von der Beklagten einen Versorgungszuschuss iHv. 1.098,84 Euro brutto monatlich nach der Dienstvereinbarung Nr. 1 vom 7. Juli 1997 (im Folgenden: DV Nr. 1). Diese bestimmt ua.:
„Vorbemerkung
➢ Die Landesbank räumt durch diese Dienstvereinbarung allen unbefristet*) angestellten sowie den im Vorruhestand befindlichen Betriebsangehörigen einen Rechtsanspruch auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung ein. Das gleiche gilt für den Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. …
§ 1
Gesamtversorgung
➢ Der Versorgungsanspruch – d.h. die Gesamtversorgung – der Betriebsangehörigen und ihrer Hinterbliebenen setzt sich im allgemeinen zusammen aus:
a)
Rente der gesetzlichen Sozialversicherung*) und/oder entsprechende Leistungen anderer Einrichtungen,
b)
Rente aus der Gruppenversicherung bei der P Leben – Versicherungsanstalt Schleswig-Holstein – und/oder Leistungen entsprechender anderer Einrichtungen,
c)
Versorgungszuschuß der Landesbank.
Rechtsanspruch
➢ Auf den Versorgungszuschuß der Landesbank wird durch diese Dienstvereinbarung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen begründet.
§ 2
Zahlungszeitpunkt
➢ Der Versorgungszuschuß wird nach insgesamt mindestens 10jähriger Betriebszugehörigkeit (ganz- oder halbtags) ab Eintritt des Versorgungsfalls gezahlt. Der Versorgungsfall ist eingetreten, sobald die Sozialversicherung verpflichtet ist
a)
zur Zahlung eines Altersruhegeldes …
…
§ 4
Berechnungsgrundlage für Versorgung
➢ Die Höhe der Gesamtversorgung bzw. der Hinterbliebenenversorgung wird in entsprechender Anwendung der für Beamte des Landes Schleswig-Holstein geltenden Grundsätze errechnet.
Maßgebende Kriterien für die Festsetzung des Versorgungszuschusses sind
a)
Dienstjahre
b)
Gehalt
c)
Renten gem. § 1 a und b.
Durch den Versorgungszuschuß der Landesbank darf die Gesamtversorgung – einschließlich eines gem. § 7 nicht angerechneten Rententeils – 75 v.H. des zuletzt bezogenen Gehalts (§ 5) nicht übersteigen.
…
§ 5
Versorgungsfähiges Gehalt
➢ Das zuletzt bezogene Gehalt, das der Berechnung des Versorgungszuschusses zugrundegelegt wird, besteht aus dem tariflichen Monatsgehalt und den sog. übertariflichen Zulagen. Funktionszulagen (z.B. Erschwernis-, EDV-Zulagen), Sozialzulagen, Überstundenvergütungen und Sonderzahlungen jeder Art gelten nicht als übertarifliche Zulagen.
Wenn im Einzelfall als Vergütung ein Jahresgehalt vereinbart worden ist, gilt als Berechnungsgrundlage 1/12 dieses Jahresgehalts.
§ 6
Vordienstzeiten
➢ Bei der Errechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre kann die Tätigkeit bei einem privaten Kreditinstitut der Tätigkeit bei einem öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut gleichgestellt werden.
§ 7
Rentenanrechnung
➢ Renten, die ein Versorgungsberechtigter aufgrund nicht ausschließlich eigener Leistungen von der Sozialversicherung, der P Leben – Versicherungsanstalt Schleswig-Holstein – oder von entsprechenden Anstalten oder Einrichtungen erhält, sind auf die Gesamtversorgung anzurechnen. …“
3
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung eines höheren Versorgungszuschusses begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, für jedes ihrer beiden Kinder müsse ein Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG gewährt werden. Dieser Zuschlag habe bis zum 30. Juni 2009 monatlich 26,55 Euro und ab dem 1. Juli 2009 monatlich 27,19 Euro pro Kind betragen. Der Anspruch auf Gewährung des Kindererziehungszuschlags ergebe sich aus § 4 Abs. 1 DV Nr. 1, der hinsichtlich der Versorgung auf die für Beamte des Landes Schleswig-Holstein geltenden Grundsätze des Beamtenversorgungsrechts verweise.
4
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Monate Februar 2009 bis Juni 2010 einen weiteren Versorgungszuschuss in Höhe von 918,06 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr im Rahmen der Gesamtversorgungszusage bei der Berechnung des Versorgungszuschusses einen Kindererziehungszuschlag entsprechend § 50a BeamtVG für eine Kindererziehungszeit von 24 Kalendermonaten zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
6
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
7
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin zu Unrecht entsprochen und der Klage stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet.
8
I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Antrag zu 2. Dieser ist in der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und erfüllt die für einen Feststellungsantrag erforderlichen Voraussetzungen nach § 256 ZPO.
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1. Mit dem Klageantrag zu 2. begehrt die Klägerin trotz der missverständlichen Formulierung unzweifelhaft die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr den in § 50a BeamtVG normierten Kindererziehungszuschlag als Teil des geschuldeten Versorgungszuschusses zu gewähren. Mit diesem Inhalt ist der Klageantrag zu 2. hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin erstrebt eine Erhöhung ihres Versorgungszuschusses um den Kindererziehungszuschlag für die Dauer von 24 Monaten, wobei sich – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat – die Höhe des Zuschlags an der Regelung des § 50a BeamtVG in seiner jeweiligen Fassung orientieren soll. Das Klagebegehren richtet sich somit nicht darauf, die Zeiten der Kindererziehung bei der Berechnung des Versorgungszuschusses als ruhegeldfähige Dienstjahre zu berücksichtigen, sondern auf die Gewährung des Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG.
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2. Für diesen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, da die Beklagte die Verpflichtung zur Gewährung eines Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG bestreitet. Soweit sich der Feststellungsantrag auf die Zeit vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2010 bezieht, handelt es sich im Übrigen um eine Zwischenfeststellungsklage iSv. § 256 Abs. 2 ZPO, für die ein besonderes Feststellungsinteresse nicht erforderlich ist.
11
II. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin den Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG (seit 1. März 2012: § 58 Beamtenversorgungsgesetz Schleswig-Holstein – SHBeamtVG vom 26. Januar 2012 [GVOBl. S. 153]) zu gewähren. Dies ergibt die Auslegung der DV Nr. 1. Der Kindererziehungszuschlag zählt nicht zu den von § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 in Bezug genommenen Grundsätzen des Beamtenversorgungsrechts.
12
1. Dienstvereinbarungen sind – ebenso wie Betriebsvereinbarungen – wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen (BVerwG 3. Dezember 2001 – 6 P 12/00 – zu II 1 b aa der Gründe). Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Parteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. zu Betriebsvereinbarungen BAG 24. April 2013 – 7 AZR 523/11 – Rn. 33; 14. März 2012 – 7 AZR 147/11 – Rn. 49 mwN).
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2. Danach ist der Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG nicht Teil des Versorgungszuschusses.
14
a) Nach § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 errechnet sich die Höhe der Gesamtversorgung in entsprechender Anwendung der für Beamte des Landes Schleswig-Holstein geltenden Grundsätze. § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 erklärt damit nach seinem Wortlaut nicht das Beamtenversorgungsgesetz insgesamt für anwendbar, sondern verweist auf die Grundsätze, nach denen sich die Versorgung der schleswig-holsteinischen Beamten bestimmt. Für die Anwendung dieser Grundsätze enthält die DV Nr. 1 eigenständige, von den Bestimmungen des Beamtenversorgungsrechts abweichende Festlegungen, etwa zum Zahlungszeitpunkt des Versorgungszuschusses (§ 2 DV Nr. 1), zu dem versorgungsfähigen Gehalt und dazu, welche Vergütungsbestandteile hierzu zählen (§ 5 DV Nr. 1), zur Berücksichtigung von Vordienstzeiten (§ 6 DV Nr. 1) und zur Anrechnung von Renten auf die Gesamtversorgung (§ 7 DV Nr. 1). Es sollen daher nicht sämtliche Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes für den Versorgungszuschuss maßgeblich sein; vielmehr soll sich die Versorgung der unter die DV Nr. 1 fallenden Beschäftigten unter Berücksichtigung der in der DV Nr. 1 getroffenen Vorgaben an den grundlegenden Prinzipien orientieren, nach denen sich die Versorgung der Beamten richtet.
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Es gehört seit jeher zu den grundlegenden Prinzipien des Beamtenrechts, dass sich die Versorgung nach der dem zuletzt wahrgenommenen Amt entsprechenden Besoldungsgruppe sowie der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit berechnet (vgl. § 4 Abs. 3 BeamtVG; ebenso: § 4 Abs. 3 SHBeamtVG) und ein bestimmter Versorgungsgrad (vgl. § 14 BeamtVG ggf. iVm. § 85 BeamtVG; ebenso: § 16 SHBeamtVG) sichergestellt wird. Eine Versorgung erfolgt nach den Grundsätzen des Beamtenversorgungsrechts und ist deshalb beamtenmäßig, wenn es sich um eine an der zuletzt bezogenen Vergütung und der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit orientierte Versorgung mit einem dem Beamtenversorgungsrecht entsprechenden Versorgungsgrad handelt (vgl. etwa BAG 17. September 2013 – 3 AZR 421/11 – Rn. 33; 11. März 2008 – 3 AZR 719/06 – Rn. 40; 13. November 2007 – 3 AZR 717/06 – Rn. 29). Hiervon geht auch die DV Nr. 1 aus. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 4 Abs. 2 DV Nr. 1, welche die in § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 in Bezug genommenen Grundsätze konkretisiert. Danach sind maßgebende Kriterien für die Festsetzung des Versorgungszuschusses die Dienstjahre, das Gehalt und die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Gruppenversicherung (§ 1 Abs. 1 Buchst. a und b DV Nr. 1). Die Gesamtversorgung soll daher in Abhängigkeit von der zuletzt bezogenen Vergütung und den anrechenbaren Dienstjahren (§ 4 Abs. 3 BeamtVG) festgelegt werden, von der anschließend die nach § 7 DV Nr. 1 anzurechnenden Versorgungsleistungen in Abzug gebracht werden.
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Zu diesen beamtenversorgungsrechtlichen Grundprinzipien zählt der Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG (jetzt: § 58 SHBeamtVG) nicht. Er bemisst sich weder nach dem zuletzt bezogenen Gehalt noch nach den anrechenbaren Dienstjahren. Er ist vielmehr ein von diesen Berechnungsfaktoren unabhängiger Teil der Versorgung, der die ggf. geleistete Kindererziehung honoriert.
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b) Sinn und Zweck der Regelung, die Versorgung der Arbeitnehmer der Beklagten der Versorgung der beim Land Schleswig-Holstein ernannten Beamten anzugleichen, gebieten keine andere Auslegung. Die Beklagte will mit der Gewährung einer Gesamtversorgung in Abhängigkeit vom letzten Gehalt, den ruhegehaltsfähigen Dienstjahren und den anrechenbaren Versorgungsbezügen ein bestimmtes Versorgungsniveau sicherstellen, nicht aber die Kindererziehung honorieren. Diese Leistung wird über die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert.
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c) In dieser Auslegung verstößt die Regelung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen höherrangiges Recht. Sie bewirkt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Nach der DV Nr. 1 besteht Anspruch auf eine Versorgung im Alter, auf die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich anzurechnen sind. Der Umstand, dass darin teilweise auch Rentenansprüche für Zeiten der Kindererziehung enthalten sind, führt nicht zu einer unzulässigen Benachteiligung. Dies ist lediglich die Folge der zugesagten Gesamtversorgung unter Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
19
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Gräfl
Schlewing
Spinner
C. Reiter
H.-J. Schepers
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